Beinverkürzungen eig. nur Gelenkverschiebungen?

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Dolphingirl94
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Beinverkürzungen eig. nur Gelenkverschiebungen?

Beitrag von Dolphingirl94 »

Hallo!

Ich war gestern bei meiner KG und sie hat jetzt mit einer neuen "Therapie" gegen die Beinverkürzungen angefangen.
Die These dabei ist, dass die Beine nicht unbedingt unterschiedlich lang sind, sondern, dass die Beine einfach nur falsch in den Gelenkpfannen sitzen (ensteht durch Beine überschlagen, langes sitzen im Auto etc...)
Das lässt sich dann durch Bewegung des Hüft-(Fuß-,Knie-)Gelenks unter Gegendruck wieder korrigieren.

Bei mir hat das wirklich geklappt und nach den Übungen waren die Beine gleich lang! Ich wollte mal wissen, was ihr von dieser These/Therapie haltet...

LG,
Doro
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Eva
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Beitrag von Eva »

Völliger Quatsch! Wenn das Gelenk wirklich schon beim
Übereinanderschlagen der Beine aus der Hüftpfanne rutschen würde, wäre die Menschheit schon ausgestorben.
Das funktioniert so (Gott sei Dank) nicht. Die Hüfte kann nicht so leicht aus der Pfanne springen! Und was der Druck von 70 kg Körpergewicht nicht wieder zurückschiebt, wird auch nicht durch den Gegendruck eines Therapeuten zurückgeschoben. (Bei einer Hüft-Op. z.B. brauch man schon zwei kräftige Mediziner, um dem in Narkose liegendem Patienten das Gelenk aus der Pfanne zu ziehen.)
Ähnlich ist das mit den verschobenen Wirbeln. Wenn es so einfach wäre, würden andere es nicht so kompliziert machen. Man bräuchte keine komplizierte ärztliche Diagnostik, keine Sicherheitstests, keine langen Ausbildungen etc.

Das sind alles schon sehr laienhafte Vorstellungen über die Funktion des menschlichen Körpers. Der "Erfolg" bei Dir resultiert lediglich aus biomechanischen Einflüssen auf die Hüftbeugemuskulatur. Niemals wurde das Hüftgelenk durch diese "Therapie" in seiner Position verändert, weil's schlicht und ergreifen einfach so nicht geht.



Gruß Evi
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Dolphingirl94
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Beitrag von Dolphingirl94 »

Hallo,

Es geht nicht darum, dass das Gelenk aus der Gelenkpfanne rutscht, sondern, dass es sich darin verschoben hat, alos nicht mehr optimal darin sitzt.

Was meinst du mit biomechanischen Einflüssen?

LG, Doro
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Eva
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Beitrag von Eva »

Um dies genau zu verstehen, bedarf es einiger anatomischen Kenntnisse, bzgl. des Zusammenspiels von Gelenk, Band- und Muskelapparat.
Ich werde versuchen, dies mal hier zu erklären, ist aber eine ziemlich lange "Geschichte":

Die Gelenkpfannen der Hüftgelenke befinden sich an der unteren Außenseite der beiden Beckenhälften. Die Gelenkköpfe sitzen tief im Inneren der sie zu einem großen Anteil umgebenden Gelenkpfanne. Diese Gelenkverbindung ist außerordentlich stabil (die stabilste unseres Körpers). Gewährleistet wird diese Stabilität nicht nur durch die umgebende Muskulatur, sondern vor allem durch einen sehr starken und spiralförmig angelegten Bandapparat. Außerdem ist der Hüftkopf noch mit einem weiteren Band mit der Hüftgelenkspfanne verbunden, in welchem sich auch die ihn versorgenden Blutgefäße befinden. Für zusätzliche Stabilität sorgt ein physiologischer Unterdruck im Inneren des durch seine Gelenkkapsel hermetisch nach außen abgeschlossenen Gelenkes. Der Unterdruck in unserem Hüftgelenk ist derart hoch, dass es selbst bei vollnarkotisiertem Patienten bei Implantation eines künstlichen Hüftgelenkes zweier kräftiger Chirurgen bedarf, um dieses Gelenk nach chirurgischer Eröffnung der Gelenkkapsel überhaupt aus der Pfanne herauslösen zu können! Ansonsten ist eine Entfernung des Hüftkopfes aus der Gelenkpfanne - also eine Hüftluxation - nur bei schwerster, traumatischer Einwirkung möglich. Dies allein widerlegt schon die These, das Hüftgelenk könne bei normalen Alltagsbewegungen einfach aus der Gelenkpfanne herausrutschen und so für einen Beckenschiefstand verantwortlich sein. Unter rein biomechanischen Gesichtspunkten kann man sich eine Entfernung des Hüftkopfes von seiner Gelenkpfanne lediglich im Millimeterbereich erklären und auch dies nur unter Gewalteinwirkung von außen.
Wodurch kommt es dann zu der Beinlängendifferenz und der angebliche Spontanheilung. Nun, auch um dies zu verstehen, bedarf es einiger Grundkenntnisse der menschlichen Anatomie:
Das Becken besitzt durch seine Verbindungen zwar keine große Beweglichkeit aber dennoch eine gewisse Elastizität, die wir vor allem benötigen, um von außen einwirkende Kräfte, wie sie beispielsweise beim Laufen auftreten, besser absorbieren und dadurch von unserer Wirbelsäule fernhalten zu können. Diese Elastizität ist es, die auch eine gewisse Verdrehung des Gelenkes in verschiedene Richtungen erlaubt. Auslöser für diese Verdrehung ist insbesondere die Zugwirkung der hier verlaufenden Bänder und großen Muskelgruppen der Hüfte, wobei ich mich in dieser verkürzten Darstellung auf die Muskeln beschränken möchte, die im Hüftgelenk eine Beugung bzw. Streckung ermöglichen. Diese Muskeln gehören zu den mit Abstand stärksten Muskeln unseres Körpers. Auf der Vorderseite, bzw. im Innenraum des Beckens liegen die Beugemuskeln, die das Bein in der Hüfte nach vorn anheben. Diese Muskeln sind sowohl innen an der Beckenschaufel, als auch an der Vorderseite der Lendenwirbelsäule angewachsen und verlaufen durch ein kräftiges Band in der Leistenbeuge hindurch zum oberen Teil des Oberschenkels. Auf der Rückseite befindet sich die Steckmuskulatur der Hüfte, welche im Gegensatz zur Beugemuskulatur von außen gut sichtbar ist, die Gesäßmuskulatur.
Bedingt durch die anatomische Lage dieser Muskelgruppen haben diese einen entscheidenden Einfluß auf die Stellung der beiden Beckenhälften bzw. auf deren Bewegung. So bewirken die Beugemuskeln eine Kippung des Beckens nach vorn, die Streckmuskeln eine Aufrichtung des Beckens bzw. eine Drehung nach hinten. Je nach Aktivität der Hüftmuskeln können unter diesem Einfluß unterschiedliche Positionen der einen oder anderen Beckenhälfte resultieren.
Nun, die Lösung ist ganz einfach: Der Patient wird vom Therapeuten aufgefordert, sich in Rückenlage auf eine Therapieliege zu legen. Zunächst legt der Patient eines seiner Beine auf die Therapieliege, legte sich dann auf den Rücken und zieht anschließend das andere Bein nach, um es neben dem ersten Bein abzulegen. Bei diesem Bewegungsablauf unter dem Aspekt der jeweiligen Muskelaktivität der Hüfte, kann man feststellen, dass der Patient sich, nachdem er das erste Bein abgelegt hat, mit der Ferse dieses Beines auf der Bank abstützt. Hierdurch kommt es in diesem Bein zu einer erhöhten Aktivität der Hüftstreckmuskulatur. Nun dreht die Hüftstreckmuskulatur die zugehörige Beckenhälfte in eine relative Position nach hinten, bzw. in eine Beckenaufrichtung. Die Aufrichtung dieser Beckenhälfte hat zur Folge, dass das zugehörige Hüftgelenk durch die Drehung des Beckens weiter nach oben wandert. Ich möchte hierbei betonen, dass Hüftgelenkspfanne und Hüftgelenkskopf diese Bewegung gemeinsam durchführen und nicht etwa der eine Teil den anderen verläßt, wie es sich nach der Vorstellung der Anwender dieser Methode abzuspielen scheint. Nachdem sich der Patient also mit dem einen Bein auf der Liege abstützt, hebt er anschließend sein anderes Bein auf die Liege. Dies tut er unter Einsatz der Hüftbeugemuskulatur dieses Beines. Die muskuläre Aktivität dieser Seite stellt also das genaue Gegenteil der anderen Seite dar, da hier nun unter der Zugwirkung der Beugemuskulatur die Beckenhälfte dieser Seite in eine Kippung nach unten gerät. Das zugehörige Hüftgelenk wandert also - räumlich betrachtet - in diesem Fall als logische Folge der Beckenbewegung ebenfalls weiter nach unten und zwar auch wieder mit beiden Gelenkanteilen, Hüftgelenkskopf und Hüftgelenkspfanne.

Das Ergebnis dieser einfachen biomechanisch asymmetrischen Beeinflussung des Beckens des Patienten in Form zweier scheinbar unterschiedlich langer Beine, ist eine Beugung des “längeren” Beines an den Oberkörper des Patienten heran, wodurch die Beckenhälfte dieser Seite nun in die gleiche Position gebracht wird, wie das Becken der anderen Seite. In logischer Konsequenz erschienen die tatsächlich gleichlangen Beine jetzt in gleicher Länge. Auf der Grundlage seiner reduzierten Vorstellung von der menschlichen Anatomie glaubt dann der Patient natürlich tatsächlich, sein aus der Pfanne herausgerutschtes Bein wurde wieder in die Gelenkpfanne gedrückt.


So sieht's aus. Ich denke, daß auch ein Laie sich jetzt etwas erklären und nachvollziehen kann, daß bei dieser sog. Behandlungsmethode im Grunde etwas beseitigt wurde, was nie vorhanden war, nämlich eine Beinlängendifferenz.


Schönes Wochenende
Gruß Evi
Nurai
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Beitrag von Nurai »

Danke, Eva, für deine sehr differenzierte Erklärung !
Ich hab mal eine vielleicht ganz naive Frage: Ist das nicht logisch, dass die Beine in gewissen Stellungen unterschiedlich lang erscheinen, wenn man eine LWS-Krümmung hat und dadurch auch ein verschobenes Kreuzbein?
Mein erster Schroth-Therapeut hat beim ersten Termin meine Beine in Rückenlage angesehen und sagte: „So ist das linke Bein länger“. Dann hat er meine beiden Beine hochgehoben (in senkrechte Stellung) und meinte: „Und so ist es kürzer“. Hat er nicht weiter kommentiert, er wollte sich damit nur ein Bild von meiner Skoliose machen.
Ich denke auch, dass es keine wirkliche Beinlängendifferenz ist, sondern dass dieser Eindruck allein durch die Skoliose kommt (?)
Mich hat man in meiner Kindheit wegen des Beckenschiefstandes ziemlich lange mit Absatzerhöhungen traktiert , mal auf der einen Seite, dann nach Meinung eines anderen Arztes auf der anderen Seite, und das war sicher einfach nur schädlich, egal wo.

LG Nurai
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Schnecke007
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Beitrag von Schnecke007 »

Sehr interessantes Posting, Evi! Danke! :cool:

Gruß, Schnecke
Eva
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Beitrag von Eva »

Du hast das ganz klar erkannt Nurai. Es ist so, wie Du es geschrieben hast. Der Körper versucht halt immer eine Fehlstellung auszugleichen, so entstehen diese physiologischen "Längenunterschiede", die in Wirklichkeit keine sind und lediglich muskulären Ursprung haben. Bedingt durch den Haltungsschaden ist dann eben die Statik verschoben.


Gruß Evi
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Dolphingirl94
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Beitrag von Dolphingirl94 »

Hallo,

Danke für die Erklärung!

Nun ja, aber nichts desto trotz hat es bei mir ja funktioniert. Meine KG hat die Beine 2x senkrecht in die Luft gehoben, einmal vor und nach der Übung. Beim ersten mal war das linke Bein (dort habe ich auch eine Einlage) kürzer, und beim 2. Mal waren dir Beine gleich lang, ja das rechte Bein war sogar etwas kürzer! Wie erklärst du dir das?
Nur durch eine Beckenverschiebung? Darauf hat meine KG nämlich geachtet!

LG, Doro
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Beitrag von Leipzigerin »

http://www.karski.lublin.pl/en/index.php?str=14
Hier habe ich viel gelesen, was "Beinverkürzung" und Kontrakturen betrifft.
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