Einkaufen mit schwerer Skoliose und Korsett-Erfahrung/Aufruf

Grüße und alles, was sich sonst nicht einordnen lässt.
Antworten
Benutzeravatar
Força
Vielschreiber
Vielschreiber
Beiträge: 516
Registriert: Mo, 05.11.2012 - 14:40
Geschlecht: weiblich
Diagnose: 56 ° th.l Skoliose sowie 60° Hyperlordose und 1° Kyphose ^^
Therapie: seit '12 cctec Erwachsenenkorsett, viel Kombi von Physio beim Therapeuten als auch daheim.

Einkaufen mit schwerer Skoliose und Korsett-Erfahrung/Aufruf

Beitrag von Força »

Hallo Skolis/Kyphies usw Geplagte.

Heute is mir was passiert, da wollt ich fragen ob ihr ähnliche Erfahrungen hattet und wie ihr damit umgegangen seid.

Ich habe mein Korsett nun seit 30 Tagen. Anfangs trug ich es noch nich so oft, mittlerweile bestimmt locker so 12 Stunden da meine Lordose ohne Korsett schnell weh tut beim sitzen.

Einkaufen war schon in den letzten Jahren immer mühsam für mich. Ich leb allein und hab kein Auto, deshalb kann ich nur mit Rad einkaufen, hinten eine blaue Ikea Tasche befüllt, oder einen kleinen Einkauf von Schulranzenfülmenge machen. Da ich eigentlich nur eine Krümmung und die hochthorakal habe hänge ich stark nach rechts und bin einfach zu instabil mehr zu heben. Weil mein Körper zu schnell verdaut und nicht alles aufnimmt (chronische Erkrankung, "Nebenprodukt": Untergewicht und einfach nich so viel Kraft) muss ich ziemlich viel und sehr ausgewogen essen...so, ihr könnt euch den Aufwand ja vielleicht nun etwas vorstellen...

Heute war ich das zweite mal mit Korsett einkaufen, da es ohne immer an meiner Lende wegen der Lordose tierisch weh tat. Nach dem Einkauf musste ich mich immer so 30-60 min ausruhen weil mir alles weh tat (und ich teile den Einkauf schon auf mehrere Tage in der Woche auf!)

Ich stand beim Getränkeflaschenrückgabeautomaten, der in einem schmalen Gang stand. Alle haben se gedrängelt.
Mein Korsett geht links seeehr weit nach oben (da ja Spiegelung der Krümmung) so dass ich von meinem linken Arm nur den Unterarm bewegen kann A weil ihn zurücknehmen nicht geht weil da der seitliche Atmungswulst des Korsetts is und B weil die Schulter- und Arm Muskeln links momentan so dermaßen verspannt sind dass e alles Pudding ist..

Jedenfalls kam dann ein Herr und schnauzte: "Lassen se mich mal durch" in typisch Berliner Mentalität. Daraufhin ich freundlich: "Würde es ihnen was ausmachen andersrum zu laufen, ich hab ein orthopädisches Plastikkorsett und kann mich nich so gut bewegen."

Es war schwer genug mit links den Wagen mit den Tüten zu halten (bücken geht ja nich und mit linkem Arm die große Tüte halten ging auch nich) um mit dem rechten die leeren Plastikflaschen in den Automaten zu werfen der zwischendrin zweimal den Geist aufgab und ich jedemal nen Mitarbeiter rufen musste.
So, Herr steht also da, mit seinen zwei Sachen in seinen Händen, und will die 2,5 Meter zum Zwischengang nich gehen. Hätte einen halben Meter von mir entfernt nich ein Typ in Gegenrichtung gestanden wäre der Herr auch wunderbar durchgekommen. Jedenfalls wollte er weder warten, noch anders laufen, stattdessen hat er mich gegickt! und ich bin beinah umgefallen. Da bin ich ziemlich sauer geworden und hab gemeint: Langen se doch mal hin!Und hab auf mein Korsett geklopft. Daraufhin er mich nochmals angeflucht, gekickt und wieder gepusht, da hab ich zurückgekickt und ihn auch angebrüllt, dass ich mich nich so gut bewegen kann und dass er mich in Ruhe lassen soll. Daraufhin hat der eine Mitarbeiter vom Supermarkt der zweimal schon nen Code für diesen blöden Pfandflaschenautomaten eingeben und die Flaschen leeren musstemich angegangen. Dass ich mich beruhigen soll. War wohl noch in der Nähe hat aber offensichtlich nich alles mitgekriegt. Ich bin nich selten den Tränen nahe aber da war ich es dann.

Ich weiss dass man das Korsett nich sieht. Ich weiss dass morgen der erste Advent ist und das alle gestresst sind, aber in solchen Momenten wünscht ich mir ich säße im Rollstuhl, dann wäre es ersichtlicher dass ich wirklich nich kann. Na gut, natürlich bin ich sehr dankbar dass ich nich im Rollstuhl sitze, und ich hoffe es fühlt sich jetzt auch keiner angegriffen der es ist. Aber auch wenn ich nich bemitleidet werden will, Respekt sollte man mir schon entgegenbringen.

Klar kann ich meine Freunde fragen, aber die wissen nich wie es mit Korsett is. Geh ich ohne einkaufen hab ich Schmerzen, geh ich mit einkaufen kann ich nich ausweichen und werd angerempelt und dann angebrüllt weil man sich an mir angehauen hat und denkt ich hab sie getreten (hatte ich auch schon...) man rempelt in Berlin scheinbar einfach gern...

Jetz hab ich mir gedacht: Korsett offen über T-Shirt tragen, dann so nen Zipper anziehen wo man es zeigen kann und Wintermantel in den Wagen, vielleicht würde man mich ja dann anders behandeln, was meint ihr?
Sind welche von euch durch das Korsett oder euren Erkrankungen denn ebenfalls stark eingeschränkt?
Wie macht ihr das eurer Umwelt klar? Laut Ärzten bekomm ich um die 70 GdB, bin ich aber gerade erst dabei zu beantragen. Ich merke dass nich mal Freunde (außer natürlich guten Freunden die mich länger kennen) wahrnehmen wie eingeschränkt ich tatsächlich bin, weil ich es "nicht ausstrahle". Weil ich mich nicht darüber definiere, weil ich eigentlich wie ich finde immer gute Methoden und Konzepte erarbeitet habe damit ich gut klarkomme.
Aber an Tagen wie heute, da is mir echt einfach nur nach heulen. Ich will ein unabhängiges Leben führen und jetz nich Freunde fragen ob sie mit mir einkaufen gehen können, aber im Moment weiss ich echt nich weiter, habt ihr vielleicht praktische Ideen?

Vielleicht ja auch einfach in ne Stadt ziehen wo die Leute weniger rempeln ;) *seufz* sorry dass es so lang geworden ist. Ich hoffe mancher hat ähnliche Erfahrungen und Tips wie man sich gut durchbeißen kann, würd mich sehr freuen wenn jemand berichtet.

LG, Ju
Aktueller Verlauf mit Força carregar (Korsett)
robinho
Vielschreiber
Vielschreiber
Beiträge: 913
Registriert: Fr, 16.04.2010 - 17:40
Geschlecht: männlich

Re: Einkaufen mit schwerer Skoliose und Korsett-Erfahrung/Au

Beitrag von robinho »

Schau doch mal, wie teuer Rollstühle sind. Vielleicht solltest du dir einen zulegen. Dann müsstest du auch nicht mehr Fahrrad fahren.
Benutzeravatar
Força
Vielschreiber
Vielschreiber
Beiträge: 516
Registriert: Mo, 05.11.2012 - 14:40
Geschlecht: weiblich
Diagnose: 56 ° th.l Skoliose sowie 60° Hyperlordose und 1° Kyphose ^^
Therapie: seit '12 cctec Erwachsenenkorsett, viel Kombi von Physio beim Therapeuten als auch daheim.

Re: Einkaufen mit schwerer Skoliose und Korsett-Erfahrung/Au

Beitrag von Força »

Wie bist du denn drauf dass du mich wenn man mich im sch** Berlin zusammenrempelt und gewaltsam umzuschmeißen versucht weil ich vor dem Pfandflaschenautomaten stehe auch noch angeht? Man kann ja im Internet einiges missverstehen aber ich glaube nicht dass das mit dem Rollstuhl misszuverstehen war. Übrigens haben Freunde von mir die zb einen Unterarm nicht haben wesentlich weniger Behinderung aber mehr Anerkennung in der Gesellschaft. Ich kann im Moment keine 500 Meter laufen, muss ständig schnaufen und kann meinen Alltag nicht mehr verrichten, hast du das nun verstanden und warst in einer ähnlichen Situation, hast Tips wie es einfacher werden könnte? Hast überhaupt schon mal in ner Millionenstadt wie Berlin gewohnt die im Gegensatz zu München sehr schlecht für Menschen mit Gehbehinderung ausgebaut ist? Wenn du nichts konstruktives beizutragen hast dann poste doch einfach nich?!
Aktueller Verlauf mit Força carregar (Korsett)
kessi
treues Mitglied
treues Mitglied
Beiträge: 263
Registriert: Fr, 31.05.2002 - 00:00
Geschlecht: weiblich
Diagnose: c-förmige, neuromuskuläre Skoliose, 52° (?) lumbal
Therapie: Korsett von Rahmouni, KG ZNS, mT

Re: Einkaufen mit schwerer Skoliose und Korsett-Erfahrung/Au

Beitrag von kessi »

Liebe Ju,

Vielen Dank für dieses Thema. Du sprichst mir aus der Seele.
Ich habe den Eindruck, dass wir beiden die ziemlich gleiche Einstellung zu unseren Einschränkungen haben. Das macht es tatsächlich sehr schwierig mit dem Verständnis erlangen.
Auch ich spreche kaum über meine Behinderung, zumindest nicht von mir aus. Nicht weil es mir unangenehm ist, sondern weil es keinen Anlass gibt, ich mich eben nicht darüber definiere, mein Glück nicht davon abhängt, sie eine Herausforderung ist, die meine Kreativität verlangt, es ein gutes Gefühl ist viel durch den eigenen Willen und die richtigen Methoden doch alleine zu schaffen...
Ich habe bemerkt, dass ich viele Wörter/Wendungen anders benutze als gewöhnlich. Wenn ich sage, dass ich nicht weiter kann, heißt das nicht, dass es mir umständlich ist, Schmerzen bereitet, mich anstrengt usw., sondern dass es unter keinen Umständen überhaupt geht. In meiner Studienzeit, als ich noch etwas mobiler war, aber nicht mehr gehen konnte, bin ich die (Außen-)Treppen zu den Unigebäuden hochgekrabbelt (und drinnen natürlich weiter, weil der Rollstuhl ja unten stand) und das im Schneckentempo. Aber ich habe es geschafft. Jemand anders hätte vielleicht gesagt unter diesen Umständen könne er nicht studieren.

Daher gerate auch ich regelmäßig in solche Situationen. Ich gebe Dir einmal ein paar Alltagsbeispiele:
Ich trage mein jüngstes Kind im Tragetuch auf dem Rücken, das ist sehr anstrengend für mich, bereitet Schmerzen usw. aber es will eben um diese Zeit Mittagschlaf machen und ich muss das andere Kind vom Kindergarten abholen. Kinderwagen schieben usw. kann ich nicht. Dann muss ich mir unterwegs regelmäßig solche Sprüche anhören: "Meine Schwester hatte das auch versucht, aber dann hat sie Verspannungen bekommen und es nicht weiter tragen können. Toll wie stark sie sind." / "Das arme Kind, Sie sollten lieber einen Kinderwagen benutzen." "Die Frau kommt auch jeden Tag krummer daher und läuft so schlecht, darüber muss Sie sich aber auch nicht wundern, wenn sie ihr Kind immer trägt"

oder

Mein Schwiegervater kommt, ich begrüße ihn, mit meinem Baby auf dem Arm. Um es zu halten brauche ich beide Hände, kann also keinen Handschlag geben, da das Baby zu klein ist um es auf dem blanken Boden abzulegen und das auch gar nicht so schnell ginge, nur für einen Handschlag. Statt mich also in den Arm zu nehmen, oder meine Schulter zu fassen, wie es manchmal andere tun, heißt es ich bin unhöflich und unverschämt. "Es wird ja wohl möglich sein mal kurz das Händle loszulassen und einen Älteren zu begrüßen". Der Mann ist übrigends VDK-Vorstand!

Das sind nur kleine Beispiele, Du selbst erlebst ja offensichtlich auch genug dergleichen.

Seitdem ich nicht mehr pflegebedürftig bin und schließlich auch Laufen gelernt habe, gibt es solche Situationen ständig. Leider auch viel in der Familie, da ich dieser aus Schutzbedürfnis ja auch nicht alles auf die Nase binde. Es ist in dieser Hinsicht tatsächlich einfacher, wenn man ganz offensichtlich und eindeutig behindert daherkommt (a la Rollstuhl= Querschnitt-Klischee). Allerdings habe ich die Erfahrung gemacht, dass man dann an anderen Fronten kämpfen muss. Denn mit der offensichtlichen Behinderung nimmt die Selbstbestimmung und Intelligenz ab, die einem zugetraut werden.
Da ich nun ja wieder selbständig bin, denken alle ich bin gesund (auch wenn ich offensichtlich gehbehindert bin). Denn ich kann scheinbar ganz locker einen Haushalt führen und die Kinder betreuen. Aber was sich iom Hintergrund abspielt ist eben nicht ersichtlich. Welche Unsterstützung mein Mann ist, dass ich meine Tag und Woche gut durchplanen muss, damit ich den Alltag schaffe, auf viel "Selbstverständliches" verzichte, erstmal daheim hinliegen muss, vor Schmerzen und Erschöpfung unterwegs manchmal einfach weinen wollte, es keine ungenutzte Energie gibt...

Meine Strategie im Moment: Ich passe meine Sprache an und kommuniziere bewusst mehr über meine Behinderung. Zum Beispiel beim Essen: Seitdem ich mich zucker- und weißmehlfrei uam ernähre, benötige ich weniger Notfallmedikament und bin belastbarer. Dafür gab es nie Verständnis, da ich es nie in den (teils dramatischen) Einzelheiten geschildert habe, die sich ergeben, wenn ich darin nachlässig bin. Nun sage ich eben, dass ich das nicht essen darf und beschreibe einen Anfall von Atemnot usw. Dabei komme ich mir aber fast wie eine Lügnerin vor, denn
verbieten solche Dinge zu essen kann mir ja niemand, auch mein Arzt nicht. Aber es ist eben der übliche Sprachgebrauch und an den versuche ich mich zu halten. Dann ist es auch nicht mehr unhöflich, wenn ich den Kuchen ablehne.

Noch etwas Praktisches: Vielleicht ist ein Wheelie (https://www.radicaldesign.nl/de/produkt ... er/wheelie) eine Hilfe für Dich. Wir haben diesen und einen ganzen Fuhrpark an verschiedenen Mobilitätshilfen (ich darf auch nicht Auto fahren). Wie Du sagtest, man muss einfach kreativ sein, ich hoffe Du findest eine gute Lösung.

Vielen Dank das Du diese Erfahrung geteilt hast, es tut gut zu sehen, das auch andere mit dieser Frage kämpfen, wie man sich am besten verhalten sollte.
Mir scheint es auf eine Abwägung hinaus zu laufen, zwischen dem eigenen Selbstverständnis, das von der Behinderung nicht überlagert wird und dem Verständnis der anderen, auf das man als Mensch, als soziales Wesen angewiesen ist.

Viel Erfolg, beim Weg finden. Ich habe schon einiges von Dir gelesen und finde Du bist eine starke Frau. Solche Fragen werfen sich immer wieder auf, das kostet Kraft und schließlich erhebt man sich darüber. Ich würde mich freuen, wenn Du über Deine Strategien und Erlebnisse weiterhin berichtest.

Viele Grüße,
kessi
Antworten